Kampf zweier Faschismen
Im Juli 1934 putschen Nazis gegen die Mussolini verbundene Regierung in Österreich
Von Dr. Hans Hautmann
Am 25. Juli 1934, kurz vor 13 Uhr, fuhren in Wien auf Lastkraftwagen Mitglieder der SS-Standarte 89, gekleidet in Uniformen des Bundesheeres, durch das offene Tor des Bundeskanzleramtes am Ballhausplatz in den Hof ein, überwältigten die Wachen und stürmten die Treppe zu dem Amtsräumen empor. Einer der SS-Leute, Otto Planetta, feuerte eine Kugel auf Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ab, die ihn so schwer verletzte, daß er gegen 15.45 Uhr starb.
Zur gleichen Zeit drang ein anderes Kommando in das Gebäude der österreichischen Rundfunkgesellschaft »Ravag« in der Wiener Innenstadt ein und zwang den Nachrichtensprecher zur Durchsage folgender Meldung, die um 13.02 Uhr in ganz Österreich gesendet wurde: »Die Regierung Dollfuß ist zurückgetreten. Dr. Rintelen hat die Regierungsgeschäfte übernommen.« Laut Putschplan war diese Radiomeldung für die Anhänger der illegalen österreichischen NSDAP das Signal, mit der Aufstandsaktion in den Bundesländern zu beginnen.
Während in Wien Einheiten der Polizei, des Bundesheeres und des Heimwehr-Schutzkorps bis zum Abend des 25. Juli die Putschisten zur Kapitulation zwangen, entbrannten in Kärnten (Lavanttal, St. Veit an der Glan), in der Steiermark (Leoben, Donawitz, Liezen, Schladming) und in Oberösterreich (Goisern, Windischgarsten, Pyhrnpaß, Almtal) schwere Kämpfe, die bis zum 28. Juli andauerten. Erst an diesem Tag war der Aufruhr von den Kräften der staatlichen Exekutive überall niedergeworfen.
Die Bilanz lautete: 101 Tote auf Regierungsseite, 111 Tote auf Putschistenseite, elf getötete Unbeteiligte. 13 NS-Putschisten wurden von einem eigens geschaffenen Militärgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Gespaltenes Kapital
Die blutigen Ereignisse des Juli 1934 in Österreich waren Ergebnis einer besonderen Konstellation: innenpolitisch als Ausdruck der erbitterten Auseinandersetzung zwischen zwei konkurrierenden Faschismen, außenpolitisch als Ausdruck des Ringens zwischen Hitlerdeutschland und Mussolini-Italien um Beherrschung des kleinstaatlichen Nachbarn. Der eine österreichische Faschismus befand sich seit dem Februar 1934 an der Macht, der andere österreichische Faschismus seit Juni 1933 in der Illegalität. Der eine war auf die Erhaltung der Selbständigkeit Österreichs orientiert, der andere auf deren Vernichtung und Anschluß an das Deutsche Reich. Der eine war »ständisch«, katholisch, konservativ geprägt und rekurrierte auf die Traditionen der einstigen habsburgischen Großmacht; der andere »völkisch«, antiklerikal, »sozialistisch« eingestellt und in den Fußstapfen eines von Preußen dominierten Großdeutschtums stehend. Beide sahen in den Österreichern wie selbstverständlich Deutsche, allerdings mit dem Unterschied, daß die austrofaschistische Spielart sie als die »besseren« Deutschen pries, mit einer ruhmreichen Geschichte und Kultur, während die »nationalsozialistische« Variante Deutschtum mit »Alldeutschtum« als blutsmäßigen Begriff gleichsetzte und folglich forderte, daß »gleiches Blut in ein gemeinsames Reich gehöre«, wie Hitler in »Mein Kampf« bereits auf der ersten Seite schrieb. Von dieser Position aus attackierten die Nazis das Dollfuß-Regime als »verknöchert« und »reaktionär« und präsentierten sich als »jugendlich«, »dynamisch«, »idealistisch« und »revolutionär«.
Hinter der Rivalität zweier faschistischer Bewegungen in Österreich mitsamt ihren ideologischen Brimborien stand als eigentliche und tiefste Ursache die Spaltung der herrschenden Bourgeoisklasse in einen »österreichischen« und einen »deutschen« Flügel. Schon im 19. Jahrhundert vorhanden, gewannen die beiden Fraktionen mit der Herausbildung des Finanzkapitals eine neue Qualität. Die eine war auf eine möglichst eigenständige Rolle des österreichischen Imperialismus bedacht, die andere auf seine totale Unterordnung unter den stärkeren deutschen Imperialismus als bloßer Juniorpartner. Beiden gleich unerträglich waren der Sturz von den stolzen Höhen einer Großmacht 1918 und der nunmehrige Status Österreichs als Kleinstaat, dem man von vornherein die »Lebensfähigkeit« absprach. Die einen wollten den Zustand durch eine »Donaukonföderation« mit Horthy-Ungarn und Italien als Schutzmacht überwinden, die anderen durch den Verzicht auf Eigenstaatlichkeit und Subordination unter den deutschen Imperialismus, um beim spätestens 1933 fixierten nächsten Raubzug dabeisein zu können.
Diese Kapitalgruppen waren es, die jeweils »ihre« faschistischen Bewegungen hier Heimwehren, dort »Hakenkreuzler« finanzierten und hochpäppelten. Als Zufall kann es nicht bezeichnet werden, daß im Juli 1934 die Naziputschisten ausgerechnet dort am besten bewaffnet waren und den Regierungstruppen die heftigsten Kämpfe lieferten, wo sich der stärkste Stützpunkt sowohl des deutschen Kapitals in Österreich als auch der »deutsch«-orientierten österreichischen Monopolgruppen befand: in der Gegend um Leoben/Donawitz, dem »Reich« des damals größten österreichischen Schwerindustriebetriebs, der Alpine-Montan.
Hitler im Hintergrund
Der Versuch einer gewaltsamen Lösung des Österreichproblems »von unten« am 25. Juli 1934 trug dilettantische Züge und endete für die Putschisten und für Hitler mit einem Fiasko. Mussolini ließ Truppen am Brenner aufmarschieren und nahm ostentativ für Kurt Schuschnigg, den Nachfolger von Dollfuß, Partei. Hitler, dessen Herrschaft zu dem Zeitpunkt noch nicht wirklich gefestigt war und eben erst durch die Röhm-Affäre eine Krise erlebt hatte, ließ die Planer und Verantwortlichen des Putschversuchs wie eine heiße Kartoffel fallen.
Viel ist darüber spekuliert worden, inwieweit er persönlich in die Sache involviert war. Die Antwort lautet, daß es für die Aktion keinen ausdrücklichen Befehl, aber auch kein Verbot durch Hitler gab. Er wollte abwarten, wie die gewaltsame »Gleichschaltung von innen« ausgeht, ohne in sie hineingezogen zu werden. Erst als das Scheitern des Putsches offenkundig war, distanzierte er sich und machte eine Kehrtwendung. Sie sah so aus, daß Hitler, eingedenk der Erfahrung mit seinem Debakel im November 1923 und dem dann mit mehr Erfolg eingeschlagenen »legalen« Weg, diese Strategie gegenüber Österreich wiederholte und fortan die »evolutionäre« Lösung betrieb.
Umgesetzt wurde sie vom neu ernannten Gesandten des Deutschen Reiches in Wien, Franz von Papen. Hitler direkt unterstellt, trachtete er danach, die österreichische Frage unter Ausschaltung der anderen europäischen Mächte auf lange Sicht in ein ausschließlich bilaterales Problem zu verwandeln, Österreich aus der internationalen Diskussion zu entfernen, es schrittweise zu isolieren und bei zunehmend verstärktem Druck von außen wie von innen für den Anschluß reif zu machen.
Es sollte nur 44 Monate dauern, bis man die Ernte dieses Vorgehens einfahren konnte und Österreich im März 1938 für sieben Jahre von der europäischen Landkarte verschwand.
Link: Junge Welt, http://www.jungewelt.de/2009/07-25/008.php