Einspruch! So lautete der Aufmacher der diesjährigen geschichtspolitischen Konferenz der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), welche am letzten April-Wochenende (24./25.) 2010 in den Räumlichkeiten der Berliner Humboldt-Universität stattfand und etwa 350 Teilnehmer zugegen waren.

23. August 1939 Beginn des 2. Weltkrieges?

Die Konferenz sollte eine Gegenstimme zu den immer offeneren Gleichsetzungstendenzen von Antifaschismus und Faschismus, Links und Rechts, sowie DDR und Hitlerfaschismus, durch die bundesdeutsche Regierung, bilden. Diese Gleichsetzung manifestiert sich jedoch nicht nur in der nationalen Geschichts- und Gedenk(stätten)politik, sondern eben auch auf europäischer Ebene. So wurde der 23. August (Tag der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes im Jahre 1939) als „Gedenktag für Opfer totalitärer und autoritärer Regime” mit überwältigender Mehrheit des Europaparlaments erklärt. Zu diesem Thema erläuterte Thomas Lutz, Vortragender und Kenner des gesamteuropäischen Geschichtsdiskurses, dass damit „Nazideutschland und der Sowjetunion gleichermaßen die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges« gegeben werden soll. Er verdeutlichte, dass durch diese Entschließung des Europaparlaments der Beginn des Zweiten Weltkrieges um acht Tage vorverlegt wurde. Ebenfalls im ersten Themenblock – „Eine grundlegende Neubewertung der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert ist notwendig“ Einspruch! – brandmarkte Wolfgang Wippermann, Historiker an der Freien Universität Berlin, die Begriffe „Totalitarismus, Extremismus, Populismus“ als unwissenschaftlich und zeigte auf, dass diese Begrifflichkeiten Politologenbetrug und zudem ideologisch aufgeladen seien, um die „Mitte der Gesellschaft“ zu rechtfertigen. Eine hitzige Diskussion entbrannte, als Wippermann das Auditorium aufforderte, der Auffassung über den Faschismus abzuschwören, wonach der Faschismus »die offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« darstelle. Mit seiner Position, dass religiös-fundamentalistische Organisationen wie die Hamas als faschistisch zu kategorisieren seien, machte er sich bei großen Teilen der Konferenzteilnehmer weiter unbeliebt.

Deutschland und Polen – beides Opfer?

Auf der zweiten Podiumsdiskussion – „Wir trauern um alle Opfer, weil wir gerecht gegen alle Völker sein wollen, auch gegen unser eigenes.“ Einspruch! – thematisierte der Historiker Kurt Pätzold die „Erinnerungsschlacht“ um die deutschen Opfer. Man täusche vor allem junge Menschen, wenn man vorgibt, dass Deutschland die Nazizeit vorbildlich aufgearbeitet habe und es nun an der Zeit wäre, der eigenen Gefallenen zu gedenken. Dies zeige sich besonders an der ständig präsenten „revisionistischen Geschichtsschreibung“ über „deutsche Bombenopfer, Vertriebene und die angeblich saubere Wehrmacht“, so Pätzold. Holger Politt vom Warschauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung berichtete von seinen Erfahrungen und erklärte, dass es in der Wahrnehmung des Zweiten Weltkrieges in Deutschland und Polen eine Asymmetrie gebe, die nicht zuletzt daraus resultiert, dass zwischen 1939 und 1945 ein Viertel der polnischen Bevölkerung umgekommen bzw. ermordet wurde. Der Bundesvorsitzende der VVN-BdA, Heinrich Fink, verlangte, dass die Revanchegelüste der „Vertriebenenverbände“ und Steinbachs in die Schranken gewiesen werden müssen.

„Per la Vita“

Am Abend wurde auch für kulturelle Unterhaltung gesorgt. Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano mit ihren beiden Kindern Edna und Joram stellten zusammen mit der HipHop-Gruppe Microphone Mafia das aktuelle CD-Projekt „Per la Vita“ vor und lieferten eine wundervolle Mischung aus Tradition und Moderne. Da das HipHop-Duett sich zeitlich etwas verspätete, konnten die Zuhörenden noch etwas über das ergreifende Leben von Esther Bejarano erfahren.

Deutsche Wehrmacht = Täter

Am zweiten Tag widerlegte der Historiker Hannes Heer mit einer immensen Faktensammlung, die oft wahrzunehmende Auffassung, dass die Wehrmacht sich nicht am Vernichtungskrieg der Nazis beteiligt habe. In die gleiche Stoßrichtung gingen auch die Beiträge des einstigen Angehörigen des antifaschistischen Widerstands in Italien, Rosario Bentivegna und der Bundessprecher der VVN-BdA, Ulrich Sander. Sie machten auf die barbarischen Naziverbrechen aufmerksam und widersprachen damit der These, den Nazistaat und seine Verbrechen habe Hitler und eine kleine Clique um ihn zu verantworten.

Lehren ziehen heißt NPD verbieten!

Zu guter letzt wurde über die aktuelle Erinnerungspolitik diskutiert. Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, wandte sich gegen eine „undifferenzierte Gleichsetzung“ von DDR und Nazistaat, wie sie beispielsweise der Berliner Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe betreibe, wenn er von „Hohenschönhausen als ein Dachau des Kommunismus“ spreche. Rosel Vadehra-Jonas, Vorstandsmitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück, berichtete von Arroganz und Intoleranz, die beispielsweise Gedenkstättenstiftungen häufig gegenüber Opferverbänden an den Tag legten, wenn es um die Umgestaltung dieser Stätten gehe. Jedoch würden viele „Gedenkstätten ohne das Engagement der KZ-Überlebenden nicht existieren.“ Peter Fischer, Mitglied des Zentralrats der Juden, rief dazu auf, „mit vereinten Kräften“ Einfluss auf die Entscheidungen an den Orten der Erinnerung zu nehmen. Silvio Peritore vom Zentralrat der Sinti und Roma forderte das sofortige Verbot der NPD, wenn dieses „Land [wirklich] Lehren aus Auschwitz gezogen haben will.“ Das diese Land noch lange nicht ihre Lehren gezogen hat, verdeutliche auch der Umgang mit dem Völkermord an den Roma und Sinti im Faschismus, der noch immer häufig ausgeblendet werde. Zum Abschluss der Konferenz erinnerte der Auschwitz-Überlebende Adam König an die Verfolgungsgeschichte von Menschen, die die Nazis als „Asoziale“ brandmarkten, und die Tatsache, dass das an ihnen begangene Unrecht bis heute nicht anerkannt werde. König brachte zudem noch ein schockierendes Beispiel aus der Gegenwart, wo ein Bremer Professor in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Kinder von Hartz 4-Empfängern als minderwertig beschimpfte. Doch das ist leider bundesdeutsche Realität.